Hasentempel

Leiko Ikemura, 2015

Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber
Hasentempel, Leiko Ikemura, 2015 | Foto: Ivo Faber

Zur Skulptur von Leiko Ikemura


Ferdinand Ullrich

Merkwürdig fremd erscheint der Hasentempel von Leiko Ikemura vor dem Recklinghäuser Bus- und Hauptbahnhof. Seltsam entrückt ist diese Figur mit den aufrecht stehenden Ohren. Und in der Tat ist sie unnahbar im wörtlichen und mehrfach im übertragenen Sinne.

Umgeben von Wasser des Regenrückhaltebeckens, ist der Hasentempel unzugänglich für den Passanten, der ihn nur aus der Distanz betrachten kann. Ein direkter Kontakt ist kaum möglich. Die optische Präsenz des Werks verdankt sich zuerst der strahlend weißen, aber doch so eigentümlich wirkenden Patina des Bronzegusses.

Darüber hinaus hat das Motiv, die Figur der Hasenfrau mit den asiatischen Gesichtszügen, so gar nichts mit unserer Erfahrungswelt zu tun. Eine größere Differenz zur Motivvielfalt des Bus- und Hauptbahnhofs ist kaum vorstellbar.

So bleibt das Werk eine irritierende Erscheinung, die gleichwohl eine hohe Suggestionskraft hat. Dieses Wesen ist umgeben von einer eigenen, unbestimmten Aura, deren innere Nähe durch äußere Distanz bestimmt ist. Diese Aura wird physisch nicht nur durch die umgebende Wasserfläche gebildet, sondern ebenso durch den runden Treppensockel. Gleichsam schwebend bietet dieser ein festes Fundament für die grazile Figur.

Figur und Sockel, Erhöhung und Distanz – das sind die Bestandteile des klassischen Denkmals. Und doch ist es hier anders. Denn diese Figur ist nicht heroisch. Vielmehr erscheint sie verletztlich, in sich gekehrt, steht nur für sich, kümmert sich nicht um die Welt um sie herum, will sie nicht dominieren.

Ansonsten herrschen an diesem Ort Hektik, Unruhe und Betriebsamkeit. Aber es gibt auch kurze Phasen der Ruhe und des Innehaltens, wenn die Fahrgäste auf ihre Anschlüsse warten. Es ist ein Ort des Übergangs, nicht einer des Verweilens.

Dagegen hat der Hasentempel hier seinen festen und dauerhaften Platz gefunden. Ohne jede praktische Funktion, ohne städtebaulichen Zweck will er sich offensichtlich nur selbst genügen. Und doch steckt das Werk voller Sinn, der sich aus dem Gegensatz zu allem, was hier sonst geschieht, ergibt. Es ist das Sinnbild der absoluten Konzentration und der heiligen Stille. Diese ist aufgehoben im Inneren der Figur, im Hohlraum unter dem Rock der Hasenfrau, der sich wie ein Portal öffnet. Als Tempel hat das Werk zugleich eine architektonische Funktion. Er hat ein Innen und ein Außen, eine Hülle und einen geistigen Kern, wie ein Schrein oder Reliquiar ungreifbar, Wertvolles in sich bewahrend.

Die Perforation des Rocks ist ein Moment des Dekorativen, aber zugleich auch eine weitere Verbindung von innen und außen, von unten nach oben – wie ein tagsüber leuchtender Sternenhimmel.

Allerdings bleibt diese besondere Figur in ihrer Ikonografie uneindeutig, halb Mensch halb Tier, ein „hybrides Wesen“, wie die Künstlerin sagt. Aufrecht steht die Figur, ohne jeden Bewegungsduktus, statisch und weltabgewandt, die Hände demütig vor der Brust zusammengeführt. Aber gerade dadurch gewinnt sie eine eigene Aura, schließt sich von der Umwelt ab, ist aber dennoch der Welt zugewandt.

 

Wettbewerb Stadt Recklinghausen

Jury*

  • Holger Freitag, Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, Vorsitzender Ausschuss für Kulturpflege und Weiterbildung der Stadt Recklinghausen
  • Andreas Lösing, Vorstand der Stiftung der Sparda-Bank West, Düsseldorf
  • Prof. Dr. Florian Matzner, Akademie der Bildenden Künste München, Lehrstuhl für Kunstgeschichte
  • Christoph Tesche, Bürgermeister der Stadt Recklinghausen, vertreten durch Marita Bergmaier / 1. Stellv. Bürgermeisterin der Stadt Recklinghausen
  • Dominik Schlarmann, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung der Sparda-Bank West, Düsseldorf
  • Prof. Dr. Ferdinand Ullrich, Direktor der Städtischen Museen der Stadt Recklinghausen
  • Renate Ulrich, Kunstberaterin, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West, Düsseldorf
  • Ursula Wißborn, Vorstand der Stiftung der Sparda-Bank West, Düsseldorf

*Bezeichnung der Jury zum Zeitpunkt der Ausschreibung 2014


Eingeladene Künstler_innen

  • Franka Hörnschemeyer, Berlin
  • Leiko Ikemura, Berlin / Köln
  • Markus Karstieß, Düsseldorf
  • Gereon Krebber, Köln
  • Alicja Kwade, Berlin
  • Vera Lossau, Düsseldorf
  • Heike Mutter und Ulrich Genth, Hamburg


Zu Leiko Ikemura

  • *1951 in Tsu City, Japan
  • 1973–1978 Studium Malerei, Escuela Superior de Bellas Artes de Santa Isabel de Hungría, später Universidad de Sevilla, Facultad de Bellas Artes, Spanien
  • 1983–1984 „Leiko Ikemura“, Bonner Kunstverein
  • 1987 „Leiko Ikemura, Gemälde, Zeichnungen, 1980–1987“, Museum für Gegenwartskunst in Basel, Schweiz
  • 1991 Professorin für Malerei an der Universität der Künste Berlin
  • 2011 „Leiko Ikemura“, Retrospektive im Nationalmuseum Tokio, Japan

Seit 2014 Professor honoris causa an der Joshibi Universität
für Kunst und Design in Kanagawa, Japan
Leiko Ikemura lebt und arbeitet in Berlin und Köln.
www.leiko.info


© Alle Rechte vorbehalten. Abdruck nur nach ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Autor_innen, der Fotograf_innen und Künstler_innen sowie der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West.